Scheitern

Scheitern ist sexy

Ein Plädoyer für einen offeneren Umgang mit persönlichen Misserfolgen

Als ich das erste Mal die Idee hatte, diesen Blog zu starten, saß ich in Griechenland an einem wunderschönen Strand, beobachtete die rauschenden Wellen – und ärgerte mich. Ich hatte gerade die Absage für einen Job erhalten. Es war nicht meine erste Absage, aber der erste Job, für den ich mir wirklich Chancen ausgerechnet hatte. Zu diesem Zeitpunkt bewarb ich mich seit knapp drei Monaten um unterschiedlichste Stellen an Universitäten, Spitälern und Beratungsstellen. Dass ich diesmal nicht nur zum Bewerbungsgespräch, sondern auch in die zweite Runde eingeladen wurde, machte mir Mut. Dieser Job, auch wenn er weit weg von meinen ursprünglichen Vorstellungen und für mich nicht gerade ums Eck war, sollte meine Suche beenden.

Das Feedback nach der zweiten Bewerbungsrunde war vielversprechend gewesen. Ich hätte die Latte hoch gelegt für die anderen BewerberInnen, durch meinen Vortragsstil und meine Vorbereitung geglänzt. Bei der telefonischen Absage versicherte man mir, ich wäre es fast geworden – entschieden hatte man sich dann aber doch für eine Bewerberin mit mehr Erfahrung.

Das war etwas Neues für mich. Als gute Schülerin und Studentin war ich es gewohnt, meine Ziele zu erreichen, wenn ich mich anstrengte. Dass auch Faktoren bei der Jobsuche mitspielen könnten, auf die ich keinen Einfluss hatte, kam mir nicht in den Sinn. Und so begann ich allmählich an mir zu zweifeln. War meine Ausbildung nichts wert? Hatte ich nicht genug Praxiserfahrung gesammelt? Hatte ich sechseinhalb Jahre lang Psychologie studiert, um jetzt nichts damit anfangen zu können?

Scheitern gehört zum Leben dazu

In unserer Leistungsgesellschaft wird uns vermittelt, dass für die Fleißigen alles möglich ist. Dass wir alles schaffen können, wenn wir uns nur genug anstrengen. Was erst einmal ermutigend klingt, schürt jedoch oft unrealistische Erwartungen an uns selbst. Aufrecht erhalten werden diese davon, dass Misserfolge im öffentlichen Diskurs kaum thematisiert werden. Zu sehen bekommen wir nur Erfolgsgeschichten – in den Nachrichten, auf Social Media und oft auch im Bekanntenkreis. Oberflächlich betrachtet scheint es, als würden die anderen alles schaffen, was sie sich vornehmen. Dass Anstrengung alleine oft nicht reicht, um ein Ziel zu erreichen, und einem großen Erfolg oft viele Misserfolge vorausgehen, wird gerne ausgeklammert. Dabei gehört Scheitern nicht nur wie vieles andere zum Leben dazu, wir können daraus auch einiges lernen.

Scheitern gibt dir Gelassenheit

Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass mir nicht meine Erfolge, sondern meine Misserfolge die Angst vor Fehlern genommen haben. Auch wenn wir uns noch so viel Mühe geben, manche Dinge laufen eben nicht so wie geplant. Davon geht die Welt auch nicht unter. Gerade für Menschen, die perfektionistisch veranlagt sind, ist der Gedanke, etwas nicht (gut) schaffen zu können oft sehr stressig. In der Realität geht nach einem Misserfolg, nachdem die erste Enttäuschung verdaut ist, in der Regel alles wie gewohnt weiter. Wenn man das erst einmal gelernt hat, lassen sich viele Unterfangen entspannter angehen.

Scheitern gibt dir Ausdauer

Wenn Bewerbung 1 bis 24 nichts werden, dann wird es vielleicht – wie in meinem Fall – die 25ste. Wenn du bei einer Prüfung durchfällst, klappt es (mit besserer Vorbereitung) wahrscheinlich beim nächsten Antritt. Und wenn sich ein Ausbildungsweg für dich als falsch herausstellt, ist vielleicht ein anderer genau der Richtige. Gerade wenn es um Job und Ausbildung geht, sind wir oft sehr streng mit uns und sehen einzelne Misserfolge als großes Drama. Wenn du aber dranbleibst und dich nicht entmutigen lässt, werden sich deine Bemühungen schlussendlich auszahlen. Vielleicht wird das Ergebnis anders sein, als du dir ursprünglich vorgestellt hast, aber das muss nicht unbedingt schlechter sein – manchmal ist es sogar besser. Durch die Erfahrung, dass mal etwas erst beim zweiten, dritten oder zehnten Anlauf klappt, lernst du, auch Durststrecken durchzuhalten. Der Erfolg, wenn du letztendlich doch dein Ziel erreichst, ist dafür umso schöner.

Scheitern macht kreativ

Frei nach dem Motto Not macht erfinderisch, kann uns das Scheitern unserer ursprünglichen Pläne dazu bringen, unsere (unhinterfragten) Ziele zu reflektieren und vielleicht einmal etwas ganz Neues auszuprobieren. Oft haben wir unbewusst ein sehr starres Bild von uns selbst und dem, wozu wir fähig sind. Wer immer ohne Hindernisse den gewohnten Weg geht, wird kaum herausgefordert werden, bislang ungenutzte Fähigkeiten einzusetzen. Wenn uns jedoch etwas nicht gelingt, müssen wir flexibel sein und lernen dabei oft ganz neue Seiten von uns selbst kennen.

Reden wir übers Scheitern!

Misserfolge sind – ohne Frage – im ersten Moment ziemlich scheiße. Haben wir uns aber erst einmal von ihnen erholt, bieten sie uns oft ungeahnte Möglichkeiten – und erweisen sich als gute Lehrer. Im Nachhinein bin ich froh, nicht den ersten Job bekommen zu haben, um den ich mich nach dem Studium beworben habe. Ich möchte den Lernprozess nicht missen, den die Erfahrung in mir ausgelöst hat. Was ich mir jedoch wünschen würde, wäre ein offenerer Umgang mit dem Thema.

Daher frage ich gleich dich als LeserIn: Welche Erfahrungen hast du mit persönlichen Misserfolgen gemacht? Welche sind dir besonders in Erinnerung geblieben und was konntest du aus ihnen lernen? Ich freue mich über eine Diskussion in den Kommentaren – hier, auf facebook oder instagram.

Photo by Julian Dutton on Unsplash


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